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jutta voigt: stierblutjahre | die boheme des ostens
Aufbau Verlag, 272 Seiten, € [D] 19,95 | € [A] 20,60

»Es war einmal ein Land […], in dem Filme, Opern und Tänze verboten wurden, weil sie ein paar alten Männern nicht gefielen. Ein Land, aus dem man nicht rauskonnte. Können Sie sich vorstellen, dass es in diesem Land ein Leben gab, das leicht war und bunt, verzweifelt und verspielt zugleich – das Leben der Boheme?« Ja, das gab es tatsächlich in der DDR, eine lebendige Alternativszene. Die graue Düsternis notdürftig beleuchteter Straßen in heruntergekommenen Stadtquartieren und verfallende Gutshäuser in ländlichen Regionen boten Schutzräume für ein alternatives, selbstbestimmtes Leben und Schaffen in allen Sparten der Künste. Überlebenswichtig war ein Dauerarbeitsverhältnis, sei es als Friedhofsgärtner oder als Toilettenaufsicht, oder die Erlaubnis des Finanzamtes, freiberuflich tätig zu sein. Andernfalls drohte die Staatsmacht mit dem Strafrecht: »Asoziale Lebensweise« wurde mit Knast zur »Arbeitserziehung« bedacht, Minderjährige in den berüchtigten Jugendwerkhöfen drangsaliert. Die Autorin Jutta Voigt, Ostberlinerin Jahrgang 1941, war seit ihrer Studentenzeit und später als Journalistin mittendrin dabei, beobachtete die Etablierten und die Westbesucher im Künstlerclub Die Möwe, die hoffnungsvollen Jungtalente und die Möchtegern-Künstler, die Abgestürzten und die einfallsreichen Kreativen, die der repressiven Staatsmacht so manches Schnippchen schlugen. Gefeiert wurde oft und ausgelassen, der ungarische Rotwein »Stierblut«, das Kultgetränk der Alternativen, floss reichlich. »Was verboten ist, das macht uns gerade scharf.« Dieses Biermann-Wort erklärt vielleicht, warum gerade im Gouvernanten-Staat DDR subversives Leben gedeihen musste. Jutta Voigt bietet – brillant und unterhaltsam geschrieben – Einblicke in ein eher verborgenes Segment der DDR-Wirklichkeit.
stern k Jürgen Schleicher